13.06.2024

Gesellschaft

Grün-blaues Auge für die Hitze

Beat the Heat
Foto von Matias Reyes auf Unsplash
Foto von Matias Reyes auf Unsplash

Die WHO zählte im vergangenen Jahr 15.000 Hitzetote in Europa. Der Urban Heat Island Effect in unseren Städten treibt die Temperaturen in den Metropolen auf extreme Werte. Und er ist alles andere als unaufhaltsam. Was den Wärmeinseleffekt so gefährlich macht und was Kommunen dagegen tun können, lesen Sie hier.

Der Sommer 2022 brachte in Deutschland extreme Temperaturrekorde mit sich. Ende Juli verzeichnete der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Hamburg-Neuwiedenthal eine Höchsttemperatur von 40,1 Grad Celsius. Hamburg war dabei kein Einzelfall: Landesweit stiegen die Temperaturen auf bis zu 40 Grad. Damit wurde 2022 zum wärmsten Jahr in der deutschen Wettergeschichte seit Beginn der Aufzeichnungen. Im Durchschnitt betrugen die Temperaturen im Jahr 2022 10,52 Grad Celsius, was knapp über dem Durchschnitt der Vorjahre liegt.


Ursachen des Wärmeinseleffekts

Je dichter die Bebauung einer Stadt, desto stärker tritt der Wärmeinseleffekt auf. Dr. Astrid Zieman von der TU Dresden nennt als Hauptursachen den hohen Versiegelungsgrad und das fehlende urbane Grün und Blau. Beton, Glas und Metall speichern Wärme und geben sie nur langsam ab. Asphaltierte Flächen und dunkle Materialien wie Schwarz-, Grau- oder Rottöne verstärken die Aufheizung. Zudem erzeugt die Stadt kontinuierlich Treibhausgase, die sich wie eine Dunstglocke über die Gebäude legen. Diese Faktoren erhöhen die Temperaturen sowohl tagsüber als auch nachts.

Grüne und blaue städtische Strukturen, wie bepflanzte Flächen und Wasserläufe, wirken hingegen kühlend. Dr. Christoph Schünemann vom Projekt „HeatResilientCity“ erklärt, dass versiegelte Straßen und Plätze bis zu 30 Grad Celsius höhere Oberflächentemperaturen erreichen können als Wiesen. Dennoch gibt es in vielen Metropolen nicht genügend Grünflächen, um das Stadtklima ausreichend zu regulieren.


Wenn die Nacht nur wenig Erholung bringt

Sogenanntes urbanes Grün, also bepflanzte Flächen, oder urbanes Blau, wie wasserführende Strukturen wie Bachläufe, Teiche oder Flüsse, wirken demgegenüber kühlend. Laut dem Physiker Dr. Christoph Schünemann vom Projekt „HeatResilientCity“ erreichen versiegelte Straßen und Plätze eine bis zu 30 Grad Celsius höhere Oberflächentemperatur im Vergleich zu einer Wiese. Grünflächen hätten demnach das Potenzial, die Stadt zu kühlen. Sie sind laut Dr. Zieman in den großen Metropolen jedoch nicht genügend vorhanden, um das Stadtklima ausreichend zu regulieren.

Darüber hinaus kommen weitere Hindernisse hinzu. So sind die Elbe und die Elbwiesen in Dresden zwar Beispielswiese markante urbane blaue und grüne Strukturen, trotzdem sieht sich die Stadt mit Hitzeproblemen konfrontiert. Der Grund dafür liegt in der Luftzirkulation – oder in diesem Falle in der Absenz ebenjener. Denn dichte oder hohe Gebäude können sogenannte Luftschneisen blockieren. Sie stören die Zirkulation kühlender Winde. Weiterhin sinkt kühle Luft nach unten. In Dresden verhindert die Hangneigung zum Fluss hin, deshalb zusätzlich einen kühlen Durchzug für die Stadt. Als Resultat verzeichnete auch Sachsens Landeshauptstadt im vergangenen Jahr einen Hitzerekord mit 39, 2 Grad.


Diese Gruppen sind besonders gefährdet

Die Auswirkungen sind gravierend. Das Umweltbundesamt hält den Wärmehaushalt in städtischen Gebieten gar für den bedeutendsten Effekt des Klimawandels für die menschliche Gesundheit. Vor 20 Jahren forderte die schwere Hitzewelle im Jahre 2003 rund 70 000 Hitzetote in ganz Europa. Allein in Deutschland starben in den Jahren 2018 bis 2020 insgesamt rund 19 300 Menschen an den Folgen extremer Hitze.

Die Zahlen zeigen, welche Relevanz der Problematik innewohnt. In den letzten Jahren setzten deshalb vermehrt intensive Forschungen zu Ursachen und Auswirkungen der Wärmeentwicklung im urbanen Raum ein. So vereinte die international angelegte Studie „Lancet Countdown on Health and Climate Change 2021“ etwa 38 Forschungsinstitute zum Thema. Sie belegten in ihren Untersuchungen den Zusammenhang von steigenden Temperaturen und gesundheitlichen Beschwerden. Bereits bei gesunden Menschen äußert sich dieser in Erschöpfung und eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Bei vulnerablen Gruppen hingegen, sind die Folgen weitaus drastischer. Gerade Ältere und Kranke gelten als gefährdet. Durch höhere Temperaturen und langanhaltende Hitze steigt bei ihnen beispielsweise das Risiko eines Herzinfarkts. Auch Obdachlose, Kleinkinder oder Schwangere leiden besonders unter der Hitze.


Zentrum für Allergie und Umwelt

Für Allergiker*innen steigt die Belastung zukünftig ebenfalls. Durch das mildere Klima im Frühjahr setzt zum einen der Pollenflug eher ein. Zum anderen fand das Zentrum für Allergie und Umwelt heraus, dass durch Trockenstress der Allergengehalt in Gräsern zunimmt. Beides wirkt sich negativ auf die Anzahl und Intensität von Allergien aus. Schließlich bergen die zunehmend hohen Temperaturen auch indirekt Risiken für die Gesundheit. Indem sich unter anderem die Umweltbedingungen für Krankheitsübertäger aus dem Tierreich ändern. Die Tigermücke, ursprünglich in den Tropen beheimatet, verbreitet sich somit mittlerweile auch in Deutschland.


Maßnahmen gegen die städtische Hitze

Angesichts dieser Entwicklungen spricht Dr. Zieman von einer neuen Normalität der städtischen Wärmebelastung. Politik, Verwaltungen und Stadtplanung müssen darauf reagieren. Bereits 2017 veröffentlichte das Bundesumweltministerium eine Richtlinie für Hitzeaktionspläne, die sowohl akute Maßnahmen für Notfälle als auch langfristige Methoden zur Stadtentwicklung umfasst. Im vergangenen Jahr sagte Bauministerin Klara Geywitz den Kommunen Förderprogramme in Höhe von 790 Millionen Euro zu.


Kältesäule für Obdachlose

Die kurzfristigen Maßnahmen müssen laut Professor Dr. Jörn Birkmann, Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) an der Universität Stuttgart auf bestehenden Strukturen aufbauen. Dabei seien drei Handlungsfelder besonders wichtig. Zum einen sei eine frühzeitige Risikokommunikation nötig, um vulnerable Gruppen und Einrichtungen, aber auch die Zivilgesellschaft auf anstehende Extremwetterereignisse hinzuweisen. Weiterhin gelte es kostenlose, gekühlte Rückzugsorte auszuweisen. Außerdem spricht er sich für die Angebotsausweitung von kostenlosem Trinkwasser im öffentlichen Raum aus.

Konzepte wie diese sind in Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und England bereits durch nationale Hitzeaktionspläne geregelt. In Frankreich kontaktieren die örtlichen Rathäuser Senior*innen bei extremen Temperaturen und weisen auf Hilfsangeboten hin. Weiterhin stellen Städte Kältesäle für Menschen bereit, deren Wohnungen sich zu stark aufheizen. Berlin will solche Kältesäle zukünftig für Obdachlose einrichten.


Italiens öffentliche Trinkbrunnen

In Italien wiederum gibt es in vielen Städten bereits öffentliche Trinkbrunnen. Allein in Rom stehen 2 500 der sogenannten Nasoni. Hier zieht auch Deutschland langsam nach. Durch Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz gilt die Bereitstellung von Trinkwasser an öffentlichen Orten seit dem 12. Januar dieses Jahres als Aufgabe der Daseinsvorsorge. Damit könnten Kommunen zukünftig in Parks oder Fußgängerzonen vermehrt Trinkbrunnen installieren.


Städtebau und langfristige Anpassungen

Langfristige Anpassungen im Städtebau sind unerlässlich. Wissenschaftlerinnen und Architektinnen fordern mehr Grün in der Stadt. Stephan Lenzen, Präsident des bdla, sieht in mehr Freiflächen und grünen Infrastrukturen einen wesentlichen Baustein für ein besseres Stadtklima. Bäume haben eine besonders hohe Kühlleistung: Eine 80 Jahre alte Linde kann so viel kühlen wie 200 Kühlschränke.

Zusätzlich zur Pflanzung neuer Bäume ist der Erhalt bestehender Bestände wichtig. Eine Studie der BOKU Wien aus 2019 zeigt, dass Bäume mit hoher Kronendichte die gefühlte Temperatur um bis zu 18 Grad Celsius im Sommer und bis zu zehn Grad Celsius im Winter reduzieren können.


Kühleffekt von bis zu zwei Grad

Das sind Eigenschaften, die vertikale Begrünung in diesem Maße nicht leisten kann. Trotzdem konnten die Forscher*innen der BOKU auch in Bezug auf Gebäudegrün positive mikroklimatische Effekte beobachten. Je nach Materialbeschaffenheit der Fassadenoberflächen verzeichneten sie Abkühlungen von sehr hohen Temperaturen bei voller Besonnung um bis circa 30 Grad Celsius. In unsanierten Altbauten führe dies laut den Wissenschaftler*innen des Projektes „HeatResilientCity“ immer noch zu einem Kühleffekt von bis zu zwei Grad im Innenraum. Obwohl vertikale Begrünung mit erhöhtem Pflegeaufwand und kostenintensiver Anschaffung verbunden ist, sprechen sich zahlreiche Expert*innen für jede Form der Klimaanpassung aus.


Erholungs- und Rückzugräume in den Städten

Die Clima Grün GmbH in Bozen erforscht seit 2002, wie sich Dächer begrünen lassen und welche Vorteile das hat. Sie haben herausgefunden, dass Dächer zu den wärmsten Teilen der Stadt gehören. Je nach Material heizen sich diese in den Sommermonaten auf bis zu 80 Grad Celsius auf. Durch eine Dachbegrünung wird dieser Effekt nicht nur verringert. Vielmehr tragen grüne Dächer zur Verdunstungskühlung bei und generieren ein eigenes Mikroklima. Dies geschieht, indem die Pflanzen Wasser aufnehmen und es unter der direkten Sonneneinstrahlung wieder verdunsten. Eine deutschlandweite Studie aus dem Jahre 2021 mit dem Titel „Evapotranspiration Measurements and Assessment of Driving Factors: A Comparison of Different Green Roof Systems during Summer in Germany“ bewies eine durchschnittliche Verringerung der Lufttemperatur durch begrünte Dächer um 1,34 Grad Celsius. Neben der Verringerung des Wärmeinseleffektes tragen begrünte Dächer weiterhin zur Luftqualität bei. Laut Bundesumweltamt bindet ein Quadratmeter Dachbegrünung jährlich bis zu fünf Kilogramm CO 2 und filtert circa 0,2 Kilogramm Schwebeteilchen aus der Luft. Ein Team um den Wissenschaftler Dr. Ngoc Cuong Nguyen vom Massachusetts Institute of Technology fand heraus, dass sich manche Arten dazu besonders eignen. Gewürze und aromatische Pflanzen trugen eher zur Luftreinigung bei als Gräser. Die Begrünung der Dächer ist nicht nur aus ökologischer Sicht sinnvoll. Je nach Art und Intensität der Dachbegrünung kreiert diese Erholungs- und Rückzugsräume in den dichter werdenden Städten.


Warum Architekt*innen die Schwammstadt kennen sollten

Im Hinblick auf das Stadtklima ist schließlich auch der Begriff der Schwammstadt derzeit in aller Munde. Er bedeutet, dass die Stadt wortwörtlich, wie ein Schwamm fungiert. Statt Regenwasser in die Kanalisation einzuleiten, soll es vor Ort versickert, verdunstet oder gespeichert werden. Dazu gilt es primär, Flächen zu entsiegeln. Weiterhin können Mulden und Zisternen Regenwasser halten und es in Trockenphasen wieder an die Umgebung abgeben. Zusätzlich versickern unterirdische Rigolen Wasser verzögert in den Untergrund. Bestenfalls geht Regenwasser so nicht im Abwassernetz verloren, sondern verbleibt im natürlichen Wasserkreislauf. Davon profitieren Pflanzen und das Stadtklima.

Das hat beispielsweise Berlin erkannt und verankert das Thema Schwammstadt mittlerweile in allen Bereichen der Stadtplanung. Bis 2024 sollen in der Stadt 400 000 Quadratmeter Stauraum für Regenwasser geschaffen werden. Inzwischen schon recht bekannt: Auch das Bauprojekt Schumacher Quartier auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel folgt den Grundsätzen der Schwammstadt. Insgesamt 180 Verdunstungsbeete und Versickerungsanlagen sollen dort eine Verdunstungsrate von 60 Prozent garantieren. Zur Umsetzung der Strategie hat die Hauptstadt eine eigene Regenwasseragentur gegründet. Diese leistet einen wichtigen Transfer zwischen Erkenntnissen aus der Forschung und der Umsetzung in der Praxis.

Neben dem massiven Ausbau der grünen und blauen Infrastrukturen empfehlen Expert*innen weiterhin Anpassungen in der Architektur. So müssen spiegelnde und stark reflektierenden Fassaden zukünftig vermieden werden. Ebenso gilt es dunkle Beläge auf Fahrbahnen und Dächern zu hinterfragen. Während sie die Wärme speichern, reflektieren helle Fassaden und Oberflächen das Sonnenlicht und heizen sich so weniger auf.


Mein Freund, der Baum

Die Vorschläge der Expert*innen zeigen, dass es viele kluge und praxisorientierte Ansätze gibt, die der Hitze in der Stadt entgegenwirken können. Akut helfen Notfallmaßnahmen wie eine verbesserte Kommunikation, die Einrichtung von Kälteräumen und ein erweitertes Angebot an Trinkwasser im öffentlichen Raum. Forscher*innen und Architekt*innen sind sich jedoch einig, dass nur ein langfristiger Stadtumbau auch die Problematik langfristig lösen kann. Die Meteorologin Dr. Zieman fordert „Bäume, Bäume, Bäume“. Der bdla setzt sich für mehr Freiflächen, mehr Versickerungsflächen und mehr Dach- und Fassadenbegrünungen ein. Viele Konzepte sind also bereits da. Die Landschaftsarchitektin und Präsidentin des DAB, Andrea Gebhard, verweist aber auch auf die die Verantwortung der Politik. Klimagerechtes Bauen müsse in der neuen Legislaturperiode einen größeren Stellenwert bekommen. Auch andere Expert*innen sehen eine nationale und lokale Verantwortung gleichermaßen. Mit gebündelten Kräften können dann grüne und blaue Infrastrukturen gefördert und dem Wärmeinseleffekt in den Städten entgegengewirkt werden.

 

Mehr zu diesem Thema in G+L 06/23.

Veröffentlicht im Rahmen der internationalen Initiative Beat the Heat.

 

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